Rechenzentren im Energieeffizienzgesetz: Wärmewende braucht mehr als Planspiele

Rechenzentren im Energieeffizienz-gesetz: Wärmewende braucht mehr als Planspiele

Die hessische Digitalministerin Sinemus brachte in Berlin Stakeholder des Gesetzesentwurfs zum Austausch zusammen. Wirtschaft kritisiert unerfüllbare Auflagen.

Mindestens 30 Prozent der Abwärme ab dem 1. Januar 2025 nachhaltiger Nutzung zuführen, ab 2027 dann 40 Prozent: Der durchgestochene Entwurf des von der Bundesregierung geplanten Energieeffizienzgesetzes konfrontiert die Betreiber von Rechenzentren mit großen Forderungen. Die Machbarkeit gilt als umstritten, und es besteht Diskussionsbedarf: Das geplante Gesetz wirft zum jetzigen Zeitpunkt viele Fragen auf. Hessens Digitalministerin Prof. Dr. Kristina Sinemus lud daher Vertreterinnen und Vertreter der Rechenzentrumsbranche sowie unterschiedliche Verbände und Unternehmen für eine Paneldiskussion zum Austausch in die Hessische Landesvertretung in Berlin.

Mit dem Energieeffizienzgesetz will der Bund unter anderem erreichen, dass Rechenzentren ihren Energiebedarf ab 2025 zu hundert Prozent durch ungeförderten Strom aus erneuerbaren Energien decken müssen. Beim aktuellen Strommix in Deutschland scheint bereits dieses Ziel nicht erreichbar, da Solar- und Windstrom großen Schwankungen unterliegen und der Betrieb von Rechenzentren damit nicht rund um die Uhr zu gewährleisten sei. Wichtig dürften daher auch Fortschritte bei den Speichermedien sein, um „Dunkelflauten“ ohne Ausfälle durchtauchen zu können.

Bei der Paneldiskussion am 11. November 2022 ging es um sachliche Aufklärung und Austausch von Stakeholdern und Sachverständigen unter dem Titel „Rechenzentren als Fundament für nachhaltige Digitalisierung – Ansätze, Rahmenbedingungen, Handlungsspielraum“. Leitfrage der Diskussion war, welchen Beitrag die Rechenzentren und ihre Betreiber leisten können. Dabei ist der Ausgangspunkt, dass das auf Bundesebene geplante Energieeffizienzgesetz in seiner jetzigen Form erhebliche Auswirkungen auf die Branche und den Wirtschaftsstandort haben würde.

Parallel ist auf europäischer Ebene bereits seit Längerem eine entsprechende Gesetzgebung in Vorbereitung, die einen „deutschen Alleingang“, der inhaltlich zu dem europäischen Rechtsrahmen konträr liefe, fragwürdig erscheinen lässt.

Nachhaltigkeitsziele Konsens, Zeitrahmen unrealistisch

Dr. Ralph Hintemann, Senior Researcher am Borderstep Institute, präsentierte bei der Veranstaltung Ergebnisse einer Studie zu den Nachhaltigkeitspotenzialen durch die Digitalisierung. Hintemann ist Lehrbeauftragter an der Universität Oldenburg sowie an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin, regelmäßig erstellt er unabhängige wissenschaftliche Studien. Er und sein Team stellten einen Boom beim Bau von Rechenzentren fest im Vergleich zu der Situation vor zehn Jahren. Dabei sticht das Rhein-Main-Gebiet insbesondere mit Frankfurt als „Hotspot“ heraus. Es gebe unterschiedliche Typen von Rechenzentren – nicht nur die „großen grauen Betonklötze“ mit mehreren Megawatt Leistungsaufnahme und Colocation für Hyperscaler. Edge-Computing sowie Kleinstrechenzentren seien im Kommen. Gerade auch mittelständische Unternehmen betreiben in Deutschland eigene Serverräume, die unter Umständen auch von der geplanten Regulierung durch das Energieeffizienzgesetz erfasst würden.

Wesentlich für die Nachhaltigkeit von Rechenzentren sind ihr Stromverbrauch, die Nutzung der Abwärme und das lokale Umfeld. Beim Impact durch Stromverbrauch gilt zu bedenken, dass der in Deutschland verfügbare Strommix nicht zu hundert Prozent nachhaltig ist, was es Rechenzentrumsbetreibern als Großabnehmern schwer mache, die Forderung nach „100 % Grünstrom“ zu erfüllen – fast alle großen Rechenzentren haben bereits Ökostromverträge. In puncto Wärmewende könnten sie grundsätzlich Teile der Bevölkerung günstig mit Wärme versorgen, allerdings ist die Nutzung von Abwärme weiterhin mit hohen Hürden verbunden.

Wärmekataster: Rechenzentrum als Nahwärmeversorger

Modellprojekte sind unter anderem der Green IT Cube in Darmstadt, Hessens wassergekühltes Rechenzentrum im Eurotheum Frankfurt, dessen Abwärme zum Heizen des Gebäudes benutzt wird, und das Projekt Westville von Béla Waldhausers Telehouse Deutschland GmbH mit Nahwärme aus einem Rechenzentrum für ein angrenzendes Wohngebiet, das sich in der Bauphase befindet. Insgesamt rund 3000 Menschen sollen im Westville in ihren Wohnungen, drei Kitas, Läden, Nahversorgung und Gastronomie durch einen Mix aus Nah- und Fernwärme versorgt werden, erklärte Waldhauser. Als Initialzündung diente ein Wärmekataster, das für die Erschließung alternativer Wärmequellen in Deutschland von Nutzen sein könnte.

Am heutigen Campus von Telehouse im Westen des Frankfurter Gallusviertels befand sich zuvor die Firmenzentrale von T&N (später Telenorma und Bosch Telecom), dem ehemals zweitgrößten Telefonanlagenhersteller Deutschlands. Dort, wo jetzt das Wohngebiet entsteht, stand das Telenormawerk 2. Mit Rohren wird dort die Wärme auf die andere Straßenseite gebracht. Die Rohre waren schon vorhanden, was sich als großer Vorteil beim Planen und Bauen herausstellte. Gleich mehrere historisch gewachsene Faktoren begünstigten diesen Standort für ein solches Projekt. Dennoch nahm die Planung mit allen Projektbeteiligten rund zwei Jahre in Anspruch, solche Projekte lassen sich selbst bei optimalen Bedingungen nicht von heute auf morgen umsetzen. Im Sommer 2023 werden die ersten Blöcke bezugsfertig sein und die ersten Mieter einziehen.

Physik: Luftgekühlte Server liefern nur 35 Grad Abwärme

Üblicherweise bringen die Kunden luftgekühlte Rechenzentren ein, erklärte Waldhauser. Die wenigsten Server seien heutzutage schon wassergekühlt. Dabei fallen maximal 35 Grad Abwärme an, was aber nicht ausreicht, um sie in Fernwärmenetze einzuspeisen. In Frankfurt und Berlin arbeiten die Fernwärmenetze der ersten und zweiten Generation zwischen 100 und 120 Grad. Auf diese Temperatur wäre für die Abwärme erst hochzuheizen – was laut dem Physiker weder ökonomisch noch ökologisch Sinn ergibt. Die Rechenzentrumsanbieter stellen ihre Abwärme den Abnehmern zudem kostenlos zur Verfügung.

Um eine Wärmewende zu ermöglichen, bräuchte es flächendeckende Infrastruktur für niedrigere Temperaturen, also eine neue Generation von Netzen. Nahwärmenetze sind ab 60 oder 70 Grad betreibbar (das ist auch aus hygienischen Gründen eine wichtige Grenze, um beispielsweise die Ausbreitung von Legionellen im Trinkwasser einzudämmen). Im Falle des Modellprojekts Westville steht der Frankfurter Energieversorger Mainova als Partner zur Seite, kümmert sich um die Verträge, und die direkte Nachbarschaft nimmt die Wärme ab. Mainova baut dort eine Heizzentrale mit zwei Großwärmepumpen. Erst die kurze Entfernung auf die andere Straßenseite macht die Abgabe der Abwärme hier technisch möglich.

Krücke im Entwurf: kaum Abnehmer, fehlende Infrastruktur

Waldhausers Rechenzentrum gibt also demnächst Abwärme an 1330 Haushalte ab, im Vorfeld hatte er sich für 15 Jahre freiwillig zur kostenfreien Abgabe selbst verpflichtet. Nahwärmenetze und Rohre für den Transport sind in den wenigsten Fällen vorhanden. Bei dem Telehouse-Vorzeigeprojekt „Westville“ stammen nur maximal zehn Prozent der gelieferten Wärme aus Abwärme vom Rechenzentrum, wenngleich Telehouse gerne mehr der benötigten Energie zur Verfügung gestellt hätte. Dafür hätte der städtische Energieversorger Mainova jedoch weitere Wärmepumpen einplanen müssen, was in der Planungsphase aufgrund der damals noch niedrigen Strom- und Gaspreise offenbar unwirtschaftlich schien. 3000 Menschen sind Waldhauser zufolge auch „viel zu wenig für die Abwärme, die unsere Kunden mit Ihren Servern produzieren.“ Um 30 bis 40 Prozent der anfallenden Abwärme abzugeben, bräuchte Telehouse zwischen 10.000 und 15.000 Abnehmer.

Die vorhandenen Großwärmepumpen für Westville beschränken die Versorgung für das Wohnquartier auf 60 bis 70 Prozent an möglicher Abwärme durch die Telehouse GmbH. Aber selbst bei mehr oder größeren Großwärmepumpen könnte Telehouse maximal zehn Prozent der anfallenden Abwärme abgeben. „Wir brauchen viel mehr Haushalte für die Abwärme, die unsere Kunden produzieren“, betonte Waldhauser im Verlaufe der Diskussionen. Ein Mangel an (belieferbaren) Abnehmern scheint auch bei anderen großen Rechenzentrumsbetreibern der Fall zu sein, wie die Redaktion nach der Paneldiskussion im Gespräch mit weiteren Gästen aus der Branche erfuhr. Bei der Umsetzung des Energieeffizienzgesetzes in der geplanten Form wäre das eine große, wenn nicht sogar die größte Hürde.

Nun ist die Konzipierung des Wohnprojekts Westville nach zweijähriger Planungsphase bereits abgeschlossen, und die ersten Mieter werden 2023 einziehen. Der Physiker Waldhauser wünscht sich Nachahmer und vor allem Projekte, die weitaus größer sind als sein Modellprojekt. Zum jetzigen Zeitpunkt falle es den Rechenzentren allerdings schwer, Abnehmer für ihre Abwärme zu finden – im Gesetzesentwurf findet sich neben der Forderung, Abwärme verpflichtend bereitzustellen, keine Verpflichtung potenzieller Empfängerkreise wie der Kommunen und Immobilienbesitzer, Abwärme auch abzunehmen. „Das ist die Krücke in dem Entwurf, so wird es nicht funktionieren“, schloss Waldhauser.

Weniger effizient kühlen, um Vorgaben zu erfüllen?

Waldhauser und drei weitere Akteure diskutierten anschließend, was die Branche als Vorreiterin zur Nachhaltigkeit beitragen kann: Gemeinsam zeigten die Diskutanten blinde Flecken des Gesetzesentwurfs auf und machten Vorschläge für einen nachhaltigeren Betrieb von Rechenzentren, die näher an dem physikalisch und real Möglichen wären als die geplanten Vorgaben und Auflagen.

Anna Naether von Google Deutschland betonte, dass Google für grünen Strom sei und bis 2030 rund um die Uhr („24/7“) CO2-freien Betrieb seiner Anlagen und Büros anpeile, von den Zielen her sei man mit dem Gesetzgeber auf einer Linie. Effiziente Software und KI-Einsatz hälfen Google Cloud, die Colocation-Ressourcen sowie eigenen Anlagen sparsam zu nutzen. Google unterstütze Gesetze, die Unternehmen helfen, effizienter und nachhaltiger zu arbeiten. Man glaube, dass Regulierung eine wichtige Rolle bei der Förderung der Nachhaltigkeit spielen kann. Gleichzeitig müsse sie die Technologie und Infrastruktur berücksichtigen, die Unternehmen derzeit für einen Übergang zu einem möglichst emissionsarmen Betrieb zur Verfügung stehen. Am Ende ginge es um einen möglichst effizienten Betrieb, da eine verringerte Effizienz wiederum auch negative Umwelteffekte haben könne.

Dieser Artikel ist ursprünglich bei Heise Medien erschienen. Hier können Sie den vollständigen Artikel lesen.

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